Ursula von der Leyen orientiert sich beim geplanten Rentenzwang für Selbstständige angeblich an der ausländischen Rechtslage. Wir wissen nicht, welche Länder sie dafür besuchte oder untersuchen ließ. Viele Länder waren es jedoch nicht. Die Petition gegen ihre Rentenpläne läuft noch bis zum 22. Mai.
Die meisten Industrieländer garantieren eine beitragsunabhängige Mindestrente. Sie beziehen alle Erwerbstätigen ein, nicht nur Selbstständige, sondern auch Beamte und Politiker. Beiträge zu gesetzlichen Renten werden einkommensabhängig berechnet, sofern Beiträge erhoben werden.
Und sie bestehen überwiegend aus drei Säulen: eine umlagefinanzierte, gesetzliche Rente. Eine (Zusatz-)Rente, die sich über den Betrieb organisiert wird, sowie eine (meist staatlich geförderte) freiwillige Privatvorsorge.
Bundesregierung übernimmt nichts vom 'Ausland'.
In Deutschland werden diese Säulen für Selbstständige wegen des geplanten Rentenzwangs stark eingeschränkt. Bestimmte Berufsgruppen bevorzugt die Bundesregierung dagegen weiterhin. Beamte erhalten bereits nach fünfjähriger Dienstzeit einen Mindestpensionsanspruch von 1365 Euro im Monat. Die Pensionshöhe orientiert sich am Verdienst der letzten zwei Dienstjahre, wo er üblicherweise am höchsten ausfällt. Die gesetzliche Rente wird dagegen auf der Grundlage des durchschnittlichen Einkommens während des gesamten Beruflebens berechnet.
Die kostenlosen Pensionen für Millionen Beamte und Politiker, welche die deutschen Steuerzahler und damit auch Selbstständigen tragen, bleiben in den Rentenreformplänen der Regierung unberührt.
Selbstständige werden in den Plänen der deutschen Bundesregierung stärker diskriminiert als jede andere Berufsgruppe, in dem sie diese Menschen mit einkommensunabhängigen Rentenbeiträge belasten möchte: für eine Mindestrente, die viele andere westliche Industrieländer beitragsunabhängig garantieren. Ohne Mindestrente müssen Rentner nur in wenigen Ländern wie den USA, Polen, Italien und Spanien planen.
Der Vergleich
Für einen Vergleich mit anderen Industrieländern untersuchten wir vor allem die gesetzlichen Rentenansprüche. Wir wählten Länder, die häufig für Reformbeispiele herangezogen werden - ohne dass wir einzelne von ihnen als Best Practice hervorheben möchten.
In der Schweiz heißt die gesetzliche Rentenversicherung "Alters- und Hinterlassenenversicherung". In sie muss jeder und in Abhängigkeit von seinem Einkommen einzahlen, der das 20. Lebensjahr erreicht oder bereits ab 18 arbeitet.
Die Versicherung ist umlagefinanziert. Die Beiträge der Einzahler werden den aktuell Anspruchsberechtigten ausgezahlt. Bei Unselbstständigen teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beträge in Höhe von 8,4% des Bruttolohnes (Deutschland: 19,6%). Selbstständige zahlen maximal 7,8% ihres 'Reineinkommens'.
Pensionskassen von Betrieben und freiwillige, staatlich geförderte Privatvorsorge bilden die zweite und dritte Säule der sozialen Sicherung im Alter oder bei Invalidität. Deckt die spätere Rente den Existenzbedarf nicht, stockt die Regierung sie mit Ergänzungsleistungen auf.
In Österreich existieren unterschiedliche Rentensysteme für Beamte und andere Erwerbstätige. Die Renten heißen Pensionen und sind umlagefinanziert. Allerdings müssen Beamte 12,55% an Pensionsbeiträgen aufbringen, genau wie Angestellte, die in der österreichischen Sozialversicherung pflichtversichert sind.
Selbstständige sind ebenfalls pflichtversichert und entrichten 17,53% für die Pensionsversicherung. Über eine Ausnahmeregelung können sich Kleinunternehmen mit geringen Umsätzen und Gewinnen von der Kranken- und Pensionsversicherung befreien lassen. Sie häufen so keine Schulden an, die deutsche Selbstständige heute schon bei deutschen Krankenversicherungen besitzen und deren Schulden mit einer Rentenpflichtversicherung bei niedrigeren Einkommen weiter steigen würden.
In den Niederlanden existieren keine berufsständischen Rentensysteme wie in Deutschland. Wer hier lebt (egal ob selbstständig, angestellt, verbeamtet oder nicht-erwerbstätig) erhält ab dem 65. Lebensjahr eine Mindestrente. Die Bedürftigkeit wird nicht geprüft, allein das Alter und ein Wohnort in den Niederlanden entscheidet. Eine entwürdigende Offenlegung des Vermögens, wie beim Bezug deutscher Sozialleistungen, existiert nicht. Die Antrittsalter erhöht sich in den kommenden Jahren schrittweise auf 67.
Die maximale Rente ist ebenfalls für jeden gleich und orientiert sich am Nettomindestlohn. Jeder Versicherte, der in die holländische Rentenversicherung einzahlt, erwirbt für jedes Beitragsjahr einen Anspruch von 2%, so dass sie nach maximal 50 Jahren Beitragsjahren den vollen Nettomindestlohn erhalten. Die Beiträge dafür betragen 17,5% des Einkommens (bis maximal 28.850 Euro). Betriebsrenten stocken diese Renten auf und besitzen einen größeren Anteil an der Alterssicherung als in Deutschland.
Vom französischen Rentensystem schwärmen nur wenige. Warum auch, es unterscheidet sich in seinem Ständedenken kaum vom deutschen. Mehr als 30 Pensionskassen existieren. Dennoch bestehen neben dem niedrigeren Eintrittsalter weitere Unterschiede zur deutschen Situation. Auch Selbstständige müssen sich je nach ihrem Berufsstand bei einer bestimmten Kasse pflichtversichern. Dies gilt ebenso für alle anderen Erwerbstätigen, einschließlich Beamte und Politiker als Personen des öffentlichen Dientes. Im Gegensatz zu Deutschland sichert eine Mindestrente von 777 Euro (bei Alleinstehenden) den Lebensabend, wenn die erworbenen Rentenansprüche unter diese Grenze fallen. Ständische Zusatzversicherungen stocken die Rente auf.
Schweden reformierte die erste Säule der Alterssicherung, die gesetzliche Rentenversicherung, im Jahr 1999. Sie erfasst alle Erwerbstätigen ab 16 Jahren, also auch Selbstständige und Beamte. Der Beitragssatz beträgt 18,5% des Einkommens. Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen sich die Beträge, wobei Arbeitgeber mit 10,21% etwas mehr übernehmen. Selbstständige zahlen mit 7% von ihren Überschüssen ebenfalls einkommensabhängige Rentenbeiträge. Eine Garantierente sichert die Personen ab, die bei Renteneintritt unter diese sogenannte Einkommensrente fallen. Sie beträgt derzeit monatlich etwa 790 Euro für Alleinstehende und 696 Euro für Ehepartner, die auf bis zu 866 Euro aufgestockt werden kann. Die Garantierenten werden der jährlichen Inflation angepasst.
Eines als ursprünglich besonders "nachhaltig" bezeichnetes Rentensystem besitzt Australien. Die Einwanderung führt zu einer geringeren demographischen Alterung, welche die gesetzliche Rente insgesamt weniger belastet. Der Staat garantiert bei der ersten Säule eine gesetzliche Mindestrente, die sie im Umlageverfahren ausschließlich Steuermitteln finanziert. Beiträge muss kein Australier dafür zahlen, jeder blecht mit seinen Steuern.
Bei der kapitalgedeckten, betrieblichen Absicherung zahlen die Arbeitgeber einen Pflichtbeitrag von 9%. In der Finanzkrise verloren diese Renten, sowie die staatlich geförderten Privatrenten etwa ein Fünftel ihres Wertes, weshalb viele rentenwillige und rentenberechtigte Australier weiter bzw. wieder arbeiteten. Die Regierung hob das Rentenalter kürzlich, wie in Deutschland, auf 67 Jahre an.
Mit den Beispielen möchten wir nicht die allgemeinen Vorzüge oder Nachteile der komplexen Rentensysteme dieser Länder hervorheben. Wegen ihrer unregelmäßigen Einkommen, entstehen für Selbstständige auch in diesen Ländern mehr Probleme als für Erwerbstätige mit regelmäßigen Einkommen.
Das Argument, die Bundesregierung würde mit der geplanten Rentenreform das deutsche Rentensystem an die "Rechtslage des Auslands" anpassen, entbehrt jedoch jeder Grundlage, weil sie die Probleme für Selbstständige - anders als im Ausland - sogar weiter verschärft.
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